Heinrich Klein arbeitete im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Philipp gern im Kontor. Sein Vater Wilhelm hatte ihn eine Weißbinderlehre machen lassen. Er leitete seine Baustellen souverän, scheute aber eher den direkten Kundenkontakt. Sein zurückhaltender Charakter zog ihn in die Schreibstube und zu den administrativen Tätigkeiten. Das noch erhaltene Copierbuch von 1904 weist darauf hin. Heinrich schrieb Rechnungen, setzte sich mit dem Steuerkommissar auseinander, klärte Aufträge mit Architekten und übernahm den Schriftverkehr „in Vertretung von Wilhelm Klein“. So teilten sich die Brüder die Aufgaben: Der jovial auftretende Philipp kümmerte sich um die Kundenakquise und leitete alle Großprojekte, Heinrich führte seine Baukolonnen und leitete die Buchhaltung und das Kontor. Auf den wenigen Bildern, die es noch von Heinrich Klein gibt, wirkt er verträumt, fast melancholisch. Er hat, wie sein Bruder, große, runde, etwas vorstehende Augen – Augen, die sich auch bei Philipps Töchtern Elisabeth und Barbara wieder finden. Doch während Philipps Blick entschlossen und etwas spitzbübisch aussieht, ist Heinrichs Ausdruck weich, versonnen und in sich gekehrt. Heinrich scheint in vielerlei Hinsicht das Gegenteil seines älteren Bruders gewesen zu sein. Weniger draufgängerisch, weniger selbstbewusst.
1902 heiratete Heinrich Klein die noch 19jährige Anna Margarete Hegendörfer. Sie entstammte einer wohlhabenden Familie, die, so heißt es in der Familienchronik, einen Makel hatte. Sie war mit einer Erbkrankheit belastet, deren Ausbruch den Geisteszustand verändern und in jungen Jahren zum Tod führen konnte. In den Unterlagen findet sich keine Bezeichnung der Krankheit, eine Form von Epilepsie könnte gemeint sein. Nur die Bilder im Fotoalbum sprechen eine eindeutige Sprache: Anna Margarete ist nirgendwo abgebildet. Sie wurde 1910, nach der Geburt der zweiten Tochter Wilhelmine, in die Heil- und Pflegeanstalt Goddelau eingewiesen. Dort blieb sie bis zu ihrem Lebensende 1963. Ab und an besuchte sie die Familie und schrieb Briefe zu Feiertagen und Geburtstagen. Aber ihr Zustand war nicht stabil genug, um einen Haushalt führen und zwei Töchter erziehen zu können.
Heinrich blieb mit der kleinen Luise Margarete und der jüngeren Schwester Wilhelmine allein zurück. Die Mädchen waren noch klein, fünf und ein Jahr alt. Heinrich meisterte die Herausforderung mit Hilfe seiner Familie und durch die Tatsache, dass Firmen- und Familiensitz an einem Ort waren. Er lebte Tür an Tür mit seinen Eltern und der Familie seines Bruders. Im gemeinsamen Haus konnten sich Großmutter Eva, Tante Luise und eine stattliche Anzahl an Haus- und Dienstmädchen um die Kinder kümmern. Doch die Zeichen der Erkrankung brachen auch bei den Mädchen aus: Ende der 20er Jahre wurde Luise Margarete in eine Heilanstalt nach Göppingen gebracht. Ihre jüngere Schwester Wilhelmine starb 1935 - mit 26 Jahren - an den Folgen der Erbkrankheit.
Heinrich Klein hatte somit auch die Hoffnung verloren, sein Erbe an Kinder und Enkel weiter geben zu können. In dieser Lage traf er eine Entscheidung im Sinne der Familienräson. Er überschrieb seinen Erbteil am Firmen- und Familienvermögen seinen Nichten Elisabeth und Barbara. Im Gegenzug sollten die Kosten für die Heimunterbringung von Heinrichs Frau und Tochter bis zu deren Tode von der Firma getragen werden.
Fünf Jahre später, 1940, wurde Darmstadt zum ersten Mal Ziel von alliierten Angriffen. Heinrich Klein zögerte nicht lange und verließ die Stadt. Im Odenwald fühlte er sich sicherer. Aber vielleicht suchte er auch Abgeschiedenheit und Abstand von der Familie. Er war 65 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen und sehnte sich nach einem stillen Glück. Seine langjährige Haushälterin war inzwischen zu seiner Lebensgefährtin geworden. Auf dem Dorf, wo ihn niemand kannte, musste er keine Rücksichten nehmen.
Trotz dieses vorsichtigen Rückzugs wurde Heinrich Klein zutiefst erschüttert als 1944 der Firmen- und Familiensitz dem Bombenangriff zum Opfer fiel. Was konnte noch kommen? Er verlor seine Zuversicht. Ein Neuanfang war für Heinrich Klein nicht vorstellbar. Während sein Bruder Philipp mit dessen Schwiegersohn die Ärmel hochkrempelte und den Wiederaufbau begann, trat Heinrich aus der Firma aus und setzt sich zur Ruhe. Es ging ihm gesundheitlich zunehmend schlechter und 1945 wurde er schließlich in die Uniklinik Heidelberg eingeliefert, weil Leber und Nieren versagten. Die Operation konnte ihn nicht retten. Heinrich Klein starb am 25. Oktober 1945.